Männer-Dessous
Über tausend verschiedene Unterhosenmodelle hat Lothar Schuster kreiert. Gerade brachte er „Eros-Dreamline N° 10“ heraus. „Nichts ist persönlicher als Unterwäsche“, lautet sein Credo, mit dem er zu Europas erfolgreichstem Designer von Männer-Dessous wurde. Adam hat den Underwear-Revolutionär in seinem Münchner Stammhaus „Tendenze“ besucht.
Feldzug gegen Liebestöter
Die neue „Tendenze“-Kollektion übertrifft alles, was man sich bisher unter Menswear vorstellen konnte. Vom Ultramicro-Gurt in rotem Lack, der wie ein Cockring über den Penis gestreift wird, bis zum warmen Pulloverbody im Norwegermuster reichen die exklusiven Modelle. Sie können ihren Freund im gelben Gym-Höschen überraschen, in tiergestreiften Leggings, die wie eine zweite Haut wirken, oder im großen Zeppelin, eine Art schwarzem Lederschaft, auf die S/M-Party pilgern. Mit dieser Underwear sind Ihnen die Blicke der anderen Kerle sicher.
Lothar Schuster ist stolz auf seine Arbeit. Der gebürtige Österreicher, vom „Spiegel“ einst als „der Lagerfeld für darunter“ bezeichnet, sprüht vor Energie und Arbeitseifer. Langmähnig, extravagant und redselig, wirkt er bei der ersten Begegnung tatsächlich wie der jüngere Bruder von „Karl dem Großen“. Er lässt sich nichts aus der Hand nehmen. Die Trends will er selbst setzen. „Meine Ideen“, so lächelt er süffisant, „werden oft gestohlen und kopiert. Meine Schnitte habe ich häufig bei großen Wäschehäusern wiedergefunden.“ Der Versuchung, die Konkurrenz an „Tendenze“ zu beteiligen, um expandieren zu können, hat er bislang widerstanden: „Ich habe Chancen gehabt, Leute reinzuholen, aber ich will nicht eingeengt werden.“
Der Aufstieg: In der Trachtenschneiderei der Großmutter auf den Geschmack gekommen, hatte Schuster bereits 1981 in München sein erstes Haute-Couture-Atelier eröffnet. Er entwarf Abendroben für die Sängerinnen von SilverConvention oder andere Hitparaden-Diven, Anzüge für Thomas Gottschalk („Na so was!“) oder ausgefallene Garderoben für Krimiserien wie „Derrick“ und „Der Alte“. Doch die männliche Underwear lockte ihn am meisten: „1983 habe ich meine erste Unterhose verkauft, ausprobiert an mir selber hatte ich es viel früher.“ Die Show- und Gayszene schien bereit für die Anmache darunter. Vor allem der nabel München: „Es war die einzige Möglichkeit, sich als Mann, der Männer mag und der Unterwäsche für Männer macht, sich in München selbstzuverwirklichen.“
Hier lernte er auch seinen heutigen Freund und Kompagnon Michael Rohrmann kennen. Der Mode-Manager, Sohn eines Oberpostsekretärs aus Hamburg, arbeitete ein Jahr bei Karl Lagerfeld (Cloé) in Paris, bevor er bei „LodenFrey“ in München zum Chefeinkäufer aufstieg. 1991 gründeten Schuster und Rohrmann ihre Underwear-Firma „Tendenze“ in der Utzschneiderstraße in München. Die Idee wurde zum Selbstläufer. Schuster: „Für Frauen gab es 23 BH-Größen, Männer wurden in sieben Unterhosengrößen hineingezwängt.“ Er begann die Wende. Knackige Slips in allen Farben, Schnitten und Maßen. „Wäsche ist der Haut am nächsten, sie beeinflusst Seele und Gefühl“, verkündet Schuster glaubhaft, um entspannt zu lächeln: „Sich etwas für die Haut zu gönnen, baut den Menschen von innen heraus auf.“
Michael Rohrmann bringt die Slips unter die Männer als wären´s Krawatten. Ganz selbstverständlich werden mit den Kunden intime Details besprochen. Jedes Modell darf anprobiert werden. Bei Maßanfertigung werden Taille, Hüftumfang und Genitalien vermessen. Es soll auf keinen Fall irgendwo zwicken. Bequem, chic und komfortabel müssen sie sein, die letzten Hüllen. „Wir verkaufen nicht nur Unterhosen, sondern eine Philosophie“, sagt Michael Rohrmann, der stolz berichtet, dass Männer aller Altersstufen und sozialen Schichten bei „Tendenze einkaufen. „Für 18jährige ist die Mode nicht gemacht. Unsere Kunden haben Geschmack und Erfahrung. Der älteste Kunde ist 94!“
Eine Besonderheit von „Tendenze“: Jedes der in bisher zehn Katalogen vorgestellen Dessous ist noch immer lieferbar, in über zwanzig verschieden Uni-Farben, in gemusterten und bedruckten Stoffen, und auf Wunsch natürlich in Maßanfertigung. Wo gibt es das sonst noch? „Unsere Modelle sind nicht saisonabhängig“, erzählt Lothar Schuster, der trotzdem die zeichen der Zeit erkannt hat und neben klassischen Schnitten und Farben immer mehr dem Erotikfaktor huldigt. Ganz deutlich wird dies bei Lack- und Lederteilen. Seine Muscle-Lookbodys in schwarzem Lack, von schwarzen Top-Modellen vorgeführt, lassen die Foto-Phantasien von Robert Mapplethorpe neu entstehen. Im „Tendenze“-Body kann man jede Technoparty besuchen.
Die exklusiven Schuster-Schnitte („alle an mir selbst ausprobiert“) lassen sich gut verschenken. Von 59 bis 249 Mark reichen die Preiskategorien in den Katalogen. „Viele bringen mir die Lieblingsunterhose ihres Freundes, um danach ein aufregendes Teil für sie zu schneidern“, erzählt der Underwear-Revolutionär, der nichts mehr liebt, als wenn die Kerle endlich zu ihrem „Darunter“ stehen. „Werft Euro alten Unterhosen weg“, hieß einst sein Aufbruchsmotto. Sein Feldzug gegen Liebestöter scheint gewonnen.
Lebenslauf
Lothar Schuster - Geboren am 12. Oktober 1958 im Kleinwalsertal. Die Eltern führten ein Sportgeschäft, die Großmutter hatte eine Trachtenschneiderei. Schon mit acht begann er zu nähen, sticken und stricken. Er besuchte eine Handelsschule und lernte Kaufmann. 1981 ging er nach München, wo er sein Schneider-Hobby zum Beruf machte. In seinem Schwabinger Haute-Couture-Atelier entwarf er Abendgarderobe für Showstars wie Thomas Gottschalk oder SilverConvention. Ab 1983 entwickelte er Schnitte für mehrere Mens-Underwearlinien, u.a. HOM. 1991 Gründung von „TENDENZE“.