Stuttgarter Zeitung

UNTER DER GÜRTELLINIE

Diesmal geht es wirklich unter die Gürtellinie. Eine Revolution ist im Gange, ganz tief unten, mitten im modischen Niemandsland. Genauer gesagt: bei den Herren-Unterhosen. Diese wichtigen Kleidungsstücke, auch „Unaussprechliche“ genannt, fristeten lange ein Dasein im Verborgenen, als ausgeleierte Feigenblätter und ästhetiche Nullösungen. Inzwischen ist die Herrenunterwäsche einer der letzten expansiven Bereiche der Modeindustrie.
Die ersten anspruchsvollen Modelle von deutschen Wäschefirmen stammten weitgehend aus der Werkstatt von Lothar Schuster. Der 32jährige Modedesigner aus München ist der Pionier des eleganten Slips und bietet jetzt unter dem Namen „Tendenze“ seine eigene Haute-Couture-Herrenkollektion an. Die echte Neuheit: Individuelle Maßanfertigung ist vorgesehen und kaum teurer als die vorgefertigten Modelle. Nach einer Recherche der Zeitschrift „Elle“ steht er mit disem Service europaweit einzigartig da. Die Kunden kommen von weit her, denn bisher gibt es erst den Stammladen in München und eine Dependance in Zürich. Demnächst sollen Geschäfte in den deutschen Metropolen folgen.
„Wir verkaufen nicht nur Unterhosen, sondern eine Philosophie“, sagt „Tendenze“-Manager Michael Rohrmann. Das beginnt schon beim heiklen Thema der Anprobe: Jedes Modell darf, anders als überall sonst, auf der Haut anprobiert werden, und die Kunden wissen dieses Privileg anscheinend zu schätzen: „Wir hatten noch keine einzige versaute Unterhose.“
Damit fallen leidige Fehlkäufe ebenso weg wie das ewige Zwicken, das besonders heimtückischen Unterhosen einst den Beinahmen „Liebestöter“ eingetragen hat. Bequemlichkeit ist das oberste Gebot: Schuster testet alle Prototypen zunächst am eigenen Leib und verwendet die weichsten und teuersten Stoffe.
Die Maßanfertigung schließlich ist die Konsequenz aus einer banalen Tatsache, die Wäschehersteller und Sextherapeuten gleichermaßen herunterspielen: Daß der kleine Unterschied nicht immer gleich groß ist. Für Angeber und „Problemfälle“ gibt´s Seidentangas mit wattierter Einlage, die das Volumen zumindest äußerlich deutlich vergrößern.
Generell neigt der „Tendenze“-Kunde aber eher zum Understatement. Er gibt ja viel Geld für Mode aus, die nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen. Der billigste Slip kostet 79 Mark, Ganzkörper-Bodies gibt es von 300 Mark aufwärts. Die haben dafür extravagante Norweger-, Trachten- und Rosenmuster und werden in der Münchener Männer-Szene schon mal direkt unterm Smoking zur Schau gestellt. Besonders stolz ist Michael Rohrmann aber, dass 20 Prozent seiner Kunden Frauen sind, die ihre Männer verschönern und erotisieren wollen und sich so auch selbst etwas Gutes tun. Sie sind es, die die Revolution eigentlich vorantreiben, und es ist erstaunlich, was sie ihren Liebsten am liebsten kaufen: hauchdünne, schwarze Spitze.